Die Versicherung von Vermögensschäden in der Produkthaftpflichtversicherung

Ist das GDV-Produkthaftpflichtmodell mit seinen Möglichkeiten zur Absicherung von Produktvermögenschäden ausreichend?

Geweckt wurde der Bedarf an einer Versicherung für reine Vermögensschäden, als sich die industrielle Produktion zunehmend von einzelnen Unternehmen auf vertikale Wertschöpfungsketten zu verteilen begann. So sind ganz besonders im Wege der vertraglichen Schadenersatzhaftung unzählige Szenarien denkbar, die zu einem Anspruch auf Ersatz von Vermögensschäden infolge der Herstellung/ Lieferung mangelhafter Erzeugnisse führen können.

Nach der herkömmlichen Deckungskonzeption des GDV besteht regelmäßig aber nur für eine begrenzte Bandbreite an Vermögensschaden Versicherungsschutz.

Der klassische Versicherungsschutz für Produktvermögensschäden

Die klassische Versicherungslösung für Produktvermögensschäden entspringt dem Produkthaftpflicht-Modell (ProdHM), welches im Jahre 1974 von der versicherungsnehmenden Industrie und der Versicherungswirtschaft im gemeinsamen Zusammenwirken entwickelt wurde. Auch wenn die originäre Deckung im Laufe der letzten 48 Jahre inhaltlich weiterentwickelt wurde, so sind die zwei wesentlichen Voraussetzungen für die Aktivierung der Deckung noch heute wirksam.

Versicherungsschutz für reine Vermögensschäden im Rahmen des ProdHM (bzw. der erweiterten Produkt-Haftpflichtversicherung) besteht ausschließlich, wenn

  1. ein definierter Weiterverarbeitungstatbestand vorliegt und
  2. die geforderte Vermögenschadenart unter den enumerativ aufgezählten Kosten geführt ist.

 

Beispiel: Aus- und Einbau-Tatbestand

Ein Hersteller von Schrankanlagen (VN) liefert mangelhafte Schranken an einen Parkhausbetreiber, der diese wiederum in Unkenntnis der Mangelhaftigkeit in sein Parkhaus einbauen lässt.

  • Es entstehen Kosten für den notwendigen Ausbau der mangelhaften Schranken und den Einbau mangelfreier Schranken.
  • Die Aus- und Einbaukosten sind versichert.
  • Nicht versichert wäre beispielsweise der entgangene Deckungsbeitrag auf Grund nicht verkaufter Parktickets, den der Parkhausbetreiber im Wege des Schadenersatzes vom Schrankenhersteller (VN) fordern kann. Es handelt sich um eine Kostenposition, die im Regelfall nicht unter der enumerativen Aufzählung zu finden ist.

Zu den versicherten Weiterverarbeitungstatbeständen zählen in marktgängigen Deckungskonzepten unter anderem auch Weiterver- und bearbeitung sowie Tatbestände der Verbindung, Vermischung und Verarbeitung mangelhaft hergestellter Erzeugnisse des Versicherungsnehmers.

 

Die offene Produktvermögenschaden-Deckung

In der bisherigen Deckungskonzeption ist Folgendes offensichtlich:

Es gibt Schadenszenarien, die insgesamt nicht versichert sind, weil keine der geforderten Weiterverarbeitungskonstellationen vorliegt. Darüber hinaus gibt es bei grundsätzlich versicherten Fallkonstellationen (z.B. im Rahmen eines Ein-/Ausbaukostenszenarios) weitere Schadenpositionen, die nicht unter den enumerativ ausgestalteten Versicherungsschutz fallen.

Es ist demnach nicht zu übersehen, dass ein erheblicher Teil des Vermögensschadenrisikos ungedeckt bleibt und im Schadenfall daher vom Versicherungsnehmer selbst zu tragen ist.

Die innovative Lösung für dieses Problem liegt in der sog. offenen Produktvermögensschaden-Deckung!

Unter einer offenen Deckung ist in diesem Zusammenhang zu verstehen, dass Versicherungsschutz für sämtliche Vermögensschäden besteht, soweit diese durch vom Versicherungsnehmer hergestellte oder gelieferte Erzeugnisse verursacht werden und nicht bereits Versicherungsschutz nach den herkömmlichen Bausteinen der erweiterten Produkthaftpflichtversicherung besteht (Subsidiarität). Somit ist z.B. das Vorliegen eines versicherten Weiterverarbeitungstatbestandes (z. B. eine Aus-/Einbausituation) nicht mehr zwingend erforderlich. Die Systematik der Deckung folgt dem eben skizzierten All-Risk-Ansatz, dessen Reichweite grundsätzlich mithilfe von einschränkenden Rückausnahmen und Risikoausschlüsse bestimmt wird, die damit maßgeblich für den materiellen Wert der Deckung sind.

Moderne Ausgestaltungsformen offener Deckungen schaffen es, ein breites Spektrum bislang nicht versicherter Vermögensschäden mit Versicherungsschutz zu begleiten. Die nachstehenden Beispiele werden dies veranschaulichen.

 

Der Bedarf entlang verschiedener Schadenszenarien

Beispiel 1

Ein Hersteller von Schrankanlagen (VN) liefert mangelhafte Schranken an einen Parkhausbetreiber.

  • Neben den Kosten für den notwendigen Ausbau der mangelhaften Schranken und den Einbau mangelfreier Schranken entstehen dem Parkhausbetreiber Umsatzausfälle, weil das Parkhaus bis zum Zeitpunkt der Mangelbeseitigung nicht ordnungsgemäß betrieben werden kann.
  • Den entgangenen Deckungsbeitrag auf Grund nicht verkaufter Parktickets macht der Parkhausbetreiber beim Hersteller der Schrankanlagen geltend.

 

Neben der klassischen Vermögensschadenposition des entgangenen Deckungsbeitrags sind aber auch Zusatzaufwände („Mehrkosten“) in verschiedenen Szenarien denkbar. Während diese Mehrkosten in manchen Konstellationen der erweiterten ProduktHV noch unter den Versicherungsschutz fallen, besteht hierfür jedenfalls dann kein Versicherungsschutz, wenn keine mitversicherte Weiterverarbeitungskonstellation vorliegt:

Beispiel 2

Die vom VN gelieferten Hackschnitzel sind mit Fremdstoffen verunreinigt und dürfen daher nicht verbrannt werden.

  • Der Abnehmer des VN kann kurzfristig keine Ersatzware beschaffen und muss daher Heizgeräte anmieten, um die Räumlichkeiten zu beheizen.

 

In wiederum anderen Konstellationen resultiert der Schaden weder aus einem entgangenen Deckungsbeitrag noch aus den soeben dargestellten Mehrkosten. Trotzdem tritt ein Schaden am Vermögen des Abnehmers ein:

Beispiel 3

Ein Hersteller (VN) verkauft mangelhaft produzierte Durchfluss-Messgeräte an einen Erdgasversorger, der mit dem Messgerät die abgegebene Menge Gas misst und auf dieser Basis mit seinen Kunden abrechnet.

  • Erst nach langer Zeit wird festgestellt, dass auf Grund des Produktmangels zu wenig Durchfluss gemessen und abgerechnet wurde.
  • Erst nach langer Zeit wird festgestellt, dass auf Grund des Produktmangels zu wenig Durchfluss gemessen und abgerechnet wurde.

 

Beispiel 4

Ein Hersteller von Schaltschränken bekommt von seinem Zulieferer (VN) mangelhafte elektronische Bauteile geliefert. Da die Ursachenermittlung auf Seiten des VN noch nicht abgeschlossen ist, kann VN keine mangelfreien Bauteile nachproduzieren. Der Hersteller tritt vom Vertrag zurück und tätigt einen Deckungskauf bei einem anderen Zulieferer.

  • Da der alternative Zulieferer nicht in unmittelbarer Nähe sitzt, muss der Hersteller höhere Transportkosten aufwenden, die er beim VN als Schadenersatz statt der Leistung geltend macht.

 

Die Liste der Beispielfälle ließe sich beliebig fortsetzen und lehrt uns, dass eine sinnvolle Eingrenzung, für welche Branchen, Betriebsarten oder Unternehmensgrößen eine offene Produktvermögensschadendeckung Sinn macht und für welche nicht, im Grunde unmöglich ist.

Dies ruft bei (nahezu) allen herstellenden und handelnden Unternehmen einen weitergehenden Absicherungsbedarf hervor, dem sich die Versicherer derzeit nur schrittweise und insgesamt zurückhaltend zuwenden. So hat sich gezeigt, dass eine offene Produktvermögensschadendeckung eine erweiterte Risikoprüfung und damit zusätzliche Risikoinformationen voraussetzt. Überdies wird die Deckung im Regelfall nur mit einer spürbaren Sublimitierung der Deckungssumme sowie erhöhten Selbstbehalten angeboten.

Kommen Sie bei Fragen hierzu gerne jederzeit auf uns zu.