7 Fragen rund um das Betriebsrentenstärkungsgesetz II

Expertentalk

Das langersehnte Betriebsrentenstärkungsgesetz II (BRSG II) steht in den Startlöchern. Die Bundesregierung hat einen Referentenentwurf vorgelegt, der unter Experten nicht ausnahmslos Begeisterungsstürme auslösen dürfte. Gökhan Köle, COO der SÜDVERS Vorsorge GmbH und Michael Reutter, CSO der PBG Pensions-Beratungs-Gesellschaft mbH, erläutern im Interview, welche Änderungen geplant sind und was diese für Unternehmen bedeuten.

  • Was ist Hintergrund der Gesetzesreform?
    Gökhan Köle: Die Verbreitung der betriebliche Altersvorsorge (bAV) stagniert seit vielen Jahren. Lediglich 54 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer haben heute eine bAV. Aufgrund der eher überschaubaren Verbreitung der bAV, wollte man diese bereits mit dem BRSG I in 2018 vorantreiben und auch bei kleineren und mittelständischen Unternehmen (KMU) etablieren. Das ist damals nicht gelungen. Die Gesetzesreform verfolgt jetzt das gleiche Ziel.
    Michael Reutter: Ein wichtiger Grund dafür, warum dieses Ziel gescheitert ist, liegt im Sozialpartnermodell (SPM) selbst, das damals neu geschaffen wurde, um die Verbreitung der bAV zu stärken. Es hat lange gedauert, bis überhaupt Modelle am Markt zu finden waren. Auf der einen Seite sind viele Modelle gescheitert, auf der anderen Seite haben sich nicht selten die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände vehement gegen die Einführung ausgesprochen. In der Breite ist das Modell einer betrieblichen Altersvorsorge ohne festes Garantieniveau und Einstandspflicht des Arbeitgebers auf Basis eines Tarifvertrages nicht angekommen.
  • Welche Änderungen stehen jetzt im Fokus?
    Gökhan Köle: Im Fokus des BRSG II stehen vor allem die Anpassungen beim Sozialpartnermodell (SPM), die die Verbreitung desselben vorantreiben sollen, die Erhöhung der Förderbeträge im § 100 EStG, nach dem die bAV für Niedrigverdiener zusätzlich mit einer Sonderförderung angekurbelt werden soll und die Förderung der bAV durch Opting-out-Modelle auf Grundlage von Betriebsvereinbarungen.
  • Warum hat das Sozialpartnermodell bisher nicht funktioniert?
    Gökhan Köle: Das SPM wurde für Tarifvertragsparteien – also Unternehmen, die tarifgebunden sind – geschaffen, obwohl man die bAV ja gerade auch bei KMU stärken wollte. Die meisten dieser sind aber gar nicht tarifgebunden, während die Unternehmen, die tarifgebunden sind, in der Regel ohnehin schon eine bAV hatten. Darüber hinaus war und ist das Modell einfach viel zu komplex.
    Michael Reutter: Genau, die Komplexität ist ein wichtiger Punkt. Die Idee des SPM ist ja eine reine Beitragszusage, was bedeutet, dass es keine Einstandspflicht des Arbeitgebers und auch keine Garantie für einen Mindestbetrag an monatlicher Rente gibt. Ziel des Ganzen: Wenn es keine Garantie gibt, kann man offensiver – auch am Kapitalmarkt – anlegen und höhere Renditen erzielen. Ein System mit unbestimmter Leistungszusage war für die meisten Arbeitnehmervertreter jedoch nicht tragbar. Damals gab es darüber hinaus die Vorgabe, dass sich die Arbeitnehmervertreter an der Durchführung und Steuerung beteiligen müssen. Wo ein Sozialpartnermodell geschaffen wurde, wird es als optionale Ergänzung zum bestehenden System angeboten.
  • Wie will man diese Probleme jetzt lösen?
    Gökhan Köle: In der Reform geht es nun vor allem um die Erweiterung und Erleichterung des SPM. Hier wurden einige Änderungen vorgenommen, die eine leichtere Teilnahme – auch ohne Tarifbindung – ermöglichen sollen.
    Michael Reutter: Neu sind mit dem Gesetzesentwurf beabsichtige Möglichkeiten, sich nunmehr auch einem nicht einschlägigen SPM anschließen zu können. Dies soll für Arbeitnehmer und Arbeitgeber künftig möglich sein, wenn die für ihr Arbeitsverhältnis zuständige Gewerkschaft Arbeitnehmer verschiedener Branchen vertritt und in einer dieser Branchen bereits ein SPM geschlossen hat, sowie, wenn ein einschlägiger Tarifvertrag eine Öffnung zum Anschluss an ein anderes SPM zulässt.
  • Und welche Neuerungen bringt der Gesetzesentwurf sonst?
    Gökhan Köle: Hoffnung könnte das Thema Opting-out machen. Unternehmen, die einen Betriebsrat haben und auf Grundlage einer Betriebsvereinbarung agieren, dürfen – auch ohne tarifvertragliche Grundlage – ein Opting-out-Modell gestalten. Jeder Arbeitnehmer nimmt automatisch mit einer Entgeltumwandlung an der bAV teil, es sei denn er widerspricht. Der Arbeitgeber muss dabei mindestens einen 20-prozentigen Anteil als Pflichtzuschuss beisteuern.
    Michael Reutter: Die Abfindungsgrenzen von laufenden Leistungen (Betriebsrenten) und unverfallbaren Ansprüchen soll von 35,35 € auf den doppelten Betrag ausgeweitet werden. Das ist zunächst zu begrüßen. Unternehmen nutzen die Möglichkeit der Abfindung durch einen Einmalbetrag häufig, um sich von der lebenslangen Bestandsführung und Auszahlung sogenannter Kleinstanwartschaften zu trennen. Was zunächst positiv klingt, hat seine Tücken: Die Abfindung darf nach Willen des Gesetzesentwurfs nämlich nur zweckgebunden in die gesetzliche Rentenversicherung gezahlt werden. Darüber hinaus müssen Mitarbeitende der Abfindung zustimmen, was wiederum mehr Bürokratie bedeutet.
  • Was müssen Unternehmen tun, wenn das Gesetz verabschiedet wurde?
    Michael Reutter: Auf Basis des Referentenentwurfs leitet sich kein konkreter Handlungsbedarf für Unternehmen ab. Der Gesetzgeber hatte mit dem BRSG I ein Obligatorium für die bAV in Erwägung gezogen, sollte das Betriebsrentengesetz I sein Ziel – die Verbreitung der bAV insbesondere in KMU – verfehlen. Der vorliegende Gesetzentwurf verbleibt jedoch grundsätzlich beim Prinzip der Freiwilligkeit.
    Gökhan Köle: Wenn man sich für ein neues Modell entscheidet, muss man die Änderungen natürlich an die Mitarbeitenden kommunizieren. Einerseits kann hier der Betriebsrat helfen. Zum anderen unterstützen wir unsere Kunden aber auch gerne mit Workshops und bieten an, die Mitarbeitenden sowohl digital als auch vor Ort abzuholen.
  • Wie lautet Ihr Fazit?
    Gökhan Köle: Ich sehe gewisse Vorteile beim Opting-out. Allerdings gibt es noch sehr viele wirklich relevante Themen, die ich im Gesetzesentwurf erwartet hätte, die mit dem BRSG II aber nicht abgegolten wurden. Von der Klarstellung des Garantieniveaus bis zu einer Vereinfachung im Bereich Steuer- und Sozialversicherungsfreiheit während der Beitrags- oder der Rentenphase. Diese Dinge hätten die bAV aus meiner Sicht wirklich pushen können.
    Michael Reutter: Ich bin skeptisch, ob das BRSG II zur Verbreitung der bAV maßgeblich beitragen wird. Einige begleitende Änderungen sind jedoch zu begrüßen. Außerdem sind es in KMU nicht zwingend die versicherungsförmigen Wege, in denen die bAV ausgestaltet wird. In Folge des Niedrigzinsniveaus, was weiterhin nachwirkt, stehen Lebensversicherungstarife unter Druck, attraktive Renditen zu erzielen. Das wissen auch die Beschäftigten. Die Direktzusage kann durch gestalterische Freiheiten und alternative Rückdeckungskonzepte, beispielsweise am Kapitalmarkt, eine sinnvolle Alternative für Unternehmen sein, eine moderne und leistungsstarke Versorgungslandschaft zu etablieren.