Kaum ein anderer Parameter ist bei Bewertung und Bilanzierung von Verpflichtungen so wichtig wie der Rechnungszins. In den letzten Monaten sind zwei aktuelle Entwicklungen zum Rechnungszins bei der Bewertung von Pensionsverpflichtungen in der deutschen Steuerbilanz und der deutschen Handelsbilanz zu beobachten.
Für die Bestimmung des Rechnungszins in der Steuerbilanz ist §6a EstG einschlägig. Seit Oktober 2017 ist beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Frage anhängig, ob der steuerliche Rechnungszins für Pensionsrückstellungen in Höhe von 6 % gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt.
Das Finanzgericht Köln (FG Köln) als Vorlagegericht hat die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit damit begründet, dass zum einen eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem erfolgt. Denn Pensionsrückstellungen folgen anders als andere Aufwendungen nicht dem Realisationsprinzip und damit nicht der vollen Abzugsfähigkeit bei tatsächlicher Verursachung. Unternehmen mit Pensionsrückstellungen würden daher anders behandelt werden als alle übrigen Unternehmen. Zum anderen sah das FG Köln in der Regelung eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem. Steuerpflichtige würden danach unabhängig von der individuellen Rendite bzw. den Verschuldenskonditionen gleichbehandelt, da der Zinsvorteil durch die „Steuerstundung“ stets einheitlich mit 6 % typisiert würde.
Die überraschende Erkenntnis des BVerfG nach fast 6 Jahren: Die Vorlage ist unzulässig (BVerfG, Beschl. v. 28.07.2023 – 2 BvL 22/17). Die in der Vorlage genannten Punkte waren nach Meinung des BVerfG nicht ausreichend begründet.
Für die Praxis bedeutet dies weiterhin Stillstand, denn es ist davon auszugehen, dass es bis auf Weiteres beim einheitlichen Zinssatz von 6 % bleibt. Es ist mehr als fraglich, ob das FG Köln einen weiteren Vorstoß mit einer besser begründeten Vorlage wagen wird. Genauso zweifelhaft scheint der Reformationsbedarf seitens der Politik in dieser Sache zu sein; zumal sich das Zinsumfeld nach langen Jahren einer Niedrigzinsphase gerade wieder in die andere Richtung verändert.
Bei der Festlegung des handelsrechtlichen Rechnungszinses hingegen ist jedoch eine zunehmende Dynamik erkennbar. Das IDW (Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V.) hat bereits vor einem Jahr gegenüber dem Bundesjustizministerium darauf hingewiesen, dass in den kommenden Jahren eine gewisse Inkonsistenz zwischen dem bislang festgelegten 10-Jahres-Durchschnittszins und dem ursprünglich eingeführten 7-Jahres-Durchschnittszins geben wird und angeregt, auf den 7-Jahreszins zurückzukehren.
Da voraussichtlich im Frühjahr 2024 der 7-Jahres-Durchschnittszins den 10-Jahres-Durchschnittszins überholen wird, fordert das IDW im aktuellen Schriftverkehr mit dem Bundesjustizministerium (Schreiben vom 6. September 2023) konkret eine Reform der handelsrechtlichen Abzinsungskonzeption. Der ausgearbeitete Vorschlag lautet dabei: Übergang auf einen konstanten Zins, der sich an der für den Euro-Raum festgelegten „Ultimate Forward Rate“ in Höhe von 3,3 % orientiert (für 2024 von der EIOPA am 27.04.2023 festgelegt). Zukünftig soll der HGB-Rechnungszins nur anlassbezogen von Zeit zu Zeit – frühestens nach fünf Jahren – angepasst werden.
Der durch den höheren Abzinsungssatz resultierende einmalige Entlastungseffekt wird sich zum bevorstehenden Bilanzstichtag 31. Dezember 2023 noch nicht realisieren, denn mit einer kurzfristigen Gesetzesänderung noch in diesem Jahr ist nicht zu rechnen. Vielmehr wird das Thema im Jahr 2024 in den Expertenrunden von Aktuaren, Wirtschaftsprüfern sowie Vertretern des Ministeriums ausgiebig diskutiert werden.